was das mit unserer Arbeitswelt zu tun hat
Die High Fantasy – also das Genre, wo in einer meist mittelalterlich geprägten Welt Helden mit Schwertern aufeinander losgehen – gilt vielen als ausge-sprochen männliches Genre. Leser:innen dieser Bücher, so heißt es, sind eher konservativ und den klassisch männlichen Tugenden wie Mut, Kampfgeist und körperlicher Stärke zugeneigt. Das Bild des »Helden« wird in der High Fantasy noch gepflegt, und selbst der Antiheld ist hier natürlich kampferprobt und durchsetzungsstark.
Zwischenzeitlich gibt es mehr und mehr Frauenfiguren in diesem Genre, aber wenn sie in einer solchen Welt nicht die »Damsel in Distress« oder der Preis für den Helden bleiben wollen, müssen sie sich die erforderlichen Fähigkeiten draufschaffen. So entstehen dann Frauenfiguren wie Red Sonya oder Brienne von Tarth, die von ihren Eigenschaften und ihrem Verhalten her eigentlich bloß »Männer mit Brüsten« sind. Klassisch weiblich gelesene Charakterzüge wie Sanftheit, Feingefühl oder Einfühlungsvermögen spielen bei den Protagonisten der High Fantasy kaum eine Rolle.
Nun kann selbstverständlich auch ein Mann über Einfühlungsvermögen und eine Frau über Kampfgeist verfügen, aber viele Eigenschaften werden eben auch heute noch als männlich oder weiblich codiert gesehen, und so wollen wir im Rahmen dieser Überlegungen einmal dabei bleiben.
Zeige ich Bilder meiner beiden männlichen Figuren – der feingliedrige Siluren in blauer Samtjacke und der kriegerische Coridan mit Schwert in der Faust – ist die Reaktion gerade beim weiblichen Publikum eigentlich immer gleich: »Bad Boy« Coridan ist der eindeutige Favorit. Obwohl wir nicht mehr in einer entsprechenden Welt leben, spricht uns Frauen offenbar noch immer der Männertyp an, der uns vor einem angreifenden Säbelzahntiger oder einer Bande Wegelagerer verteidigen könnte.
Tatsächlich merke ich diese Tendenz auch bei mir selbst. Während das Buch »Welt der Schwerter« entstand, trieb mich daher die Frage um: Was macht Männlichkeit eigentlich aus? Kann ich einen Helden schaffen, dem die klassischen »Heldentugenden« fehlen, und den ich selbst (und hoffentlich auch die Leser:innen) trotzdem als positiv männlich empfinde? Ob mir das bei Siluren gelungen ist, müsst ihr entscheiden.
Bleibt die Schwierigkeit, ob eine nach weiblichen Prinzipien agierende Figur in einer nach männlichen Prinzipien funktionierenden Welt überhaupt Erfolg haben kann – und das ist eine Frage, die sich nicht nur in der High Fantasy stellt.
Auch unsere Arbeitswelt funktioniert in großen Teilen noch immer nach männlichen Prinzipien. Es wird von einer »gläsernen Decke« gesprochen, die Frauen von den höheren Führungspositionen fernhält. Mehr und mehr setzt sich aber die Erkenntnis durch, dass viele Frauen dorthin gar nicht wollen – weil das dafür erforderliche Handeln ihnen nicht entspricht, und die erreichbaren Ziele nicht die ihren sind. Scherzhaft gesagt würden viele männliche Führungskräfte ihren Stuhl bereitwillig Frauen überlassen, wenn es als Dienstwagen nur Kleinwagen gäbe plus eine tägliche 30-Minuten-Massage am Arbeitsplatz. Oder wenn manche Geschäftstreffen nicht mehr im Puff stattfinden würden (ja, das gibt es immer noch[1]), sondern im Wellness-Spa. Ein Teil der Misere ist eben, dass Frauen sich in den bestehenden Strukturen nicht wohlfühlen und »freiwillig« gehen.
Und das gilt nicht nur für die Führungsetage. Nach meiner persönlichen Erfahrung sind Telefonkonferenzen, bei denen nur Frauen anwesend sind, meist in kürzester Zeit erledigt, während bei der Beteiligung mehrerer (insbesondere hochrangiger) Männer die gesamte angesetzte Zeit ausgenutzt wird unter Beachtung der dem Status der jeweiligen Teilnehmer angemessenen Redezeit. Die Frauen unter den Teilnehmern schicken sich derweil im direkten Chat Smileys mit verdrehten Augen. Sie wollen, wie Lydia Krüger es ausdrückt »weniger Bohei und mehr Wirksamkeit«[2]. So kommt es zum »opt out« vieler auch erfolgreicher Frauen zwischen 40 und 50. Statt weiter Karriere zu machen, entscheiden sie sich dazu, lieber etwas »Sinnvolles« zu tun. Etwa, Fantasy-Romane zu schreiben.
Die Antwort der Arbeitswelt darauf ist zurzeit meistens noch die gleiche wie in der High Fantasy: Frau muss mutiger sein, stärker werden, sich kompetitiver ausrichten.[3] Kurz: Frauen sollten einfach männlicher werden.
Die Alternative dazu liegt auf der Hand: Die (Arbeits-) Welt muss weiblicher werden. Und diese Entwicklung ist bereits zu erkennen. Ich rede hier nicht von Firmenkindergärten oder Elternzeit. Ich spreche davon, dass Kooperation und Teamwork einen größeren Stellenwert bekommen als der Wettstreit. Dass Strukturen mit Abteilungs-Königreichen aufgebrochen werden. Dass stille Leistung statt lauter Selbstdarstellung (auch finanziell) gewürdigt wird. Dass die Work-Life-Balance vor »Leistung um jeden Preis« geht. Und tatsächlich passiert es, dass manche Männer sich in solchen neuen Strukturen nicht mehr wohl fühlen und »freiwillig« gehen.
Am Ende kann das natürlich nicht das Ziel sein. Das Pendel muss aus-schwingen und zwischen den Polen zur Ruhe kommen. Genügend Untersuchungen machen deutlich, dass gemischte Teams den eingeschlecht-lichen überlegen sind[4], und viele Männer fühlen sich mit Teamwork pudelwohl und nutzen ihre Elternzeit mit Hingabe. Es liegt also an uns, unsere (Arbeits-) Welt umzugestalten – so wie Siluren, Lynn und Kira dazu beitragen, ihre eigene »Welt der Schwerter« zu überwinden.
[1]
https://www.welt.de/wirtschaft/article13773370/Je-besser-der-Anzug-desto-uebler-das-Benehmen.html Stand 11.02.2022
[2] https://www.businessladys.de/tschuess-karriere-was-frauen-wirklich-wollen/ Stand 11.02.2022
[3] https://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/oekonomie/wissenswert/gleichberechtigung-warum-frauen-nicht-karriere-machen/3006108.html Stand 11.02.2022
[4] https://www.spiegel.de/karriere/frauen-und-maenner-gemischte-teams-faellen-bessere-entscheidungen-a-1137656.html Stand 11.02.2022